5.6.07

Otto der Schlaue

Wirtschaft ist wie die Politik: Erst versperrt sie sich hartnäckig jedem gesellschaftlichen Wandel (sofern dieser sie betrifft), dann hopst sie gerade noch auf den fahrenden Zug auf, um nicht abgehängt zu werden und weiter gute Geschäfte machen zu können.
So hat Versandhaus-Unternehmer Michael Otto die „Initiative 2 Grad“ gegründet mit dem durchschaubaren Ziel, in der aktuellen Klima-Inquisition von der Seite der „Bösen“ („die Industrie“) auf die der „Guten“ zu wechseln – auf die Seite der Inquisitoren nämlich, die andere anklagen, damit sie selbst nicht angeklagt werden.
Die "Blockaden in der Klimapolitik" durch die USA müssten "endlich aufgehoben werden", sagt Otto zu SPIEGEL ONLINE. Auch der jüngste Vorstoß von US-Präsident George W. Bush bedeute lediglich ein "Verschieben der notwendigen Klimadebatte".
Schlau, Herr Otto! Gefahrlos auf der Anti-Bush-Welle reiten, das bringt Punktgewinn beim Versandhauskunden. Denn wenn die USA ernst beim „Klimaschutz“ machen würden, bräuchte man als Käufer kein schlechtes Gewissen mehr zu haben, wenn man sich von weither die Espressomaschine anliefern lässt. Und wenn die USA nicht ernst machen, auch nicht - denn dann kann ja ohnehin alles egal sein.
Otto entlarvt Bush als Quasi-Diktator, der im Alleingang gegen den Welt-Willen die Rettung der Erde sabotiert: "Die Zukunft darf nicht in den Händen von Bremsern liegen." Sowohl mit den Demokraten als auch mit Teilen der US-Industrie habe es schon Gespräche über eine, Achtung: „Post-Bush-Klimaschutzpolitik“ gegeben.
Nun ist man hierzulande ja der festen Auffassung, bei den USA handele es sich im Grunde um ein etwas größeres Deutschland, nur mit dem falschen Präsidenten. Da droht nach einem Regierungswechsel im Weißen Haus ein böses Erwachen. Zur Erinnerung: Der Präsident, der das Kyoto-Protokoll nicht unterschrieb, obwohl er noch knapp drei Jahre im Amt war, hieß Bill Clinton und war Demokrat.
Weitere Mitglieder der „Initiative 2 Grad“ sind vor allem Konzerne, die aus der Öko-Schmuddelecke herauswollen, wie BP, EnBW und Vattenfall (Shell ist in einer ähnlichen britischen Kampagne dabei). Außerdem: die Allianz, die
nicht als „Abzocker“ gelten will, wenn wegen der Erderwärmung die Versicherungsprämien steigen; die Bahn, einer der größten Kohlendioxid-Verursacher Deutschlands, die aber auf dem hohen „Klimafreundlichkeits“-Ross sitzt; und die unvermeidliche Telekom, die immer dabei ist, wenn es eine Chance gibt, sich beim Kunden anzubiedern.
Für Unternehmer, Manager wie auch Politiker gilt dieselbe Grundregel: Immer schön im Strom schwimmen. Das ist der gefahrloseste Weg, überall durchzukommen, beim Verbraucher, beim Wähler, durchs Leben. Als Widerständler kann man es zwar zu etwas bringen, aber das Risiko zu scheitern ist einfach zu groß. Lieber mitschwimmen.