Berliner Seifenoper

28.12.06

Nutzloser G8-Gipfel

Unter dem Allerweltsmotto "Wachstum und Verantwortung" ist Deutschland dieses Jahr Gastgeber des G8-Gipfels. Die Wahl des Ortes fiel auf Heiligendamm an der Ostsee. Ein großer Medienrummel, für den sich in der realen Welt - außer daueraufgebrachten Linksradikalen - zu Recht niemand so wirklich interessiert.

Der erste Gipfel hatte noch echte Bedeutung. 1975 trafen sich in Rambouillet die Staats- und Regierungschefs der sechs größten Industrienationen. Vor unserem geistigen Auge erscheinen auf immer Helmut Schmidt und Gastgeber Valéry Giscard d'Estaing. Da ging es, ganz handfest und konkret, um die gemeinsame Bewältigung von Öl- und Weltwirtschaftskrise.

Die Gipfel-Gründungsmitglieder waren Frankreich, Deutschland, Großbritannien, Italien, Japan und die USA. Überflüssigerweise kam 1976 Kanada hinzu und noch überflüssigerweise 1998 Russland. Außerdem ist die unvermeidliche Europäische Kommission stets vertreten.

Und worum geht es diesmal, Anfang Juni? Laut Bundesregierung um "die Ausgestaltung der globalisierten Weltwirtschaft und die Entwicklung Afrikas". Im Klartext: "Wie schaffen wir es, den Leuten zu verklickern, dass der zunehmende Welthandel auch Vorteile für uns hat", "Wie bekommen wir diese fiesen Privat-Equity-Companies in den Griff", "Wie kriegen wir die Afrikaner dazu, nicht die Strände Europas zu stürmen" und "Wie kontern wir das chinesische Engagement in Afrika".
Auf dem größten Teil der Veranstaltungskosten von voraussichtlich 90 Millionen Euro bleibt übrigens das Land Mecklenburg-Vorpommern sitzen - eine der vielen Possen und Auswüchse des föderalen Systems. Diese Summe wäre vielleicht doch besser in Afrika aufgehoben. Damit könnte man in Kapstadt ein komplettes Fußballstadion für die Fußball-WM 2010 bauen.

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21.12.06

Gabriel versus Claassen: Einer wird gewinnen

Was ein Zweikampf, und nur einer kann gewinnen. In der linken Ecke: Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD), 47, in der anderen: Vorstandschef Utz Claassen (EnBW), 43. Die zwei haben einiges gemeinsam. Beide sind aus Niedersachsen, beide haben die Figur eines Sumoringers, beide haben eine Mission. Nur verträgt sich die eine nicht mit der anderen.

Claassen hat bei Gabriel einen Antrag auf Laufzeitverlängerung des Atommeilers Neckarwestheim I gestellt. Dafür soll Neckarwestheim II entsprechend kürzer laufen. Zwei parallel laufende Blöcke seien ökonomischer als einer alleine - "Synergieeffekte" bei Personal, Einkauf, Reparatur. Diese Strom-Umschichtung zwischen zwei Kraftwerksblöcken steht im Einklang mit dem Atomkonsens von 2000. Die Idee der Umschichtung ist zwar die, ältere Meiler früher stillzulegen und modernere dafür länger laufen zu lassen, aber davon steht so nichts im Vertrag.
Eigentlich soll Neckarwestheim I schon 2009 abgeschaltet werden, kurz vor der Bundestagswahl. Das könnte die SPD als Erfolg des Ausstiegsbeschlusses verkaufen. Jetzt will Claassen den Reaktor bis 2017 laufen lassen, und niemand weiß, wie sich bis dahin das tatsächliche und damit das politische Klima entwickeln.
Um Gabriel zu ärgern, hat Claassen den 23-seitigen Antrag zur Kenntnisnahme auch ans Kanzleramt und ans Wirtschaftsministerium geschickt. Dort sitzen jeweils Atomkraft-freundliche Politiker an der Spitze.

Um Claassen zu ärgern, hat sich Gabriel eine Bedenkzeit von mehreren Monaten erbeten und mit den Worten begleitet, die Prüfungsdauer hänge "von der Qualität des Antrags" ab.

Aber gerissen, wie Claassen ist, erklärt er sich vordergründig mit Gabriel solidarisch: Auf dem Klimagipfel in Nairobi nämlich hatte der Umweltminister versprochen, Deutschland werde weiter seine "Vorreiterrolle" beim Klimaschutz spielen und den Kohlendioxidausstoß bis 2020 um 40 Prozent senken. Claassen: "Ich begrüße diese Forderung." Aber natürlich sei das ohne den fortgesetzten Einsatz von Atomkraftwerken nicht zu schaffen.
Jetzt sitzt Gabriel in der Fall. Bei dessen Zustimmung zum Antrag hat der EnBW-Chef sofort gewonnen. Sein Alt-Meiler läuft dann erst einmal ein paar Legislaturperioden unter Vollast weiter, und Gabriel hat alle Öko-Verbände der Republik gegen sich. Bei einer Ablehnung wird Claassen vor Gericht ziehen, "im Namen der Kunden, der Aktionäre und das Klimaschutzes". Wer wollte da widersprechen? Schließlich hat EnBW vor kurzem den ersten "Deutschen Klimaschutzkongress" mit namhaften Wissenschaftlern veranstaltet, und spätestens jetzt weiß jeder, warum.
Selbst wenn der Minister Recht zugesprochen bekommt, hat er immer noch nicht gewonnen. Denn dann lässt Claasen ("die Lichter im Südwesten gehen sicher nicht aus") eben ein Kohlekraftwerk bauen. Ätsch.

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12.12.06

EU verbietet Schlechtsein

Erfreuliche Nachrichten aus der Europäischen Union: Die Kommission verbietet den Bürgern, schlechte Dinge zu tun. Künftig ist nur noch Gutsein erlaubt. Der Europäische Gerichtshof steht der EU dabei hilfreich zur Seite.

Es geht ums Verbot von Zigarettenwerbung. Rauchen ist bekanntlich nicht gesund. Die Werbung dafür kann also auch nicht gesund sein. Bevor es Tabakwerbung gab, hat niemand in Europa geraucht. Jetzt raucht etwa jeder Dritte. Also: weg mit der Werbung.

Wenn die rechtliche Handhabung fehlt, muss man erfinderisch werden. Und so erfand die EU "Wettbewerbsverzerrungen im grenzüberschreitenden Warenverkehr". Das verbietet die Tabakwerbung in allen Zeitschriften, selbst wenn sie nie ins Ausland gehen, beispielsweise Stadtmagazine.

Eine Klage Deutschlands hat der Europäische Gerichtshof abgeschmettert, zur Zufriedenheit der Bundesregierung übrigens, die nur pro forma geklagt hatte. Zu dumm nur, dass Kinos und Plakatwände nicht wandern können. Sonst hätte die EU auch sie in das Tabakwerbeverbot einbeziehen können.

Sei's drum - jetzt wird alles gut. Wenn im "Stern" nicht mehr die weiten Marlboro-Landschaften zu sehen sind im "Figaro" nichts Witziges mehr auf der "Gauloise"-Packung steht, werden die Europäer bald alle das Rauchen aufhören.

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5.12.06

Computerspieler in den Knast!

Der Amokläufer von Emsdetten holt uns wieder ein. Das heißt - nicht uns, sondern zunächst nur Günther Beckstein. Der bayerische Innenminister will per Gesetz Personen mit einer Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr belegen, "die Computerspiele verbreiten, herstellen, beziehen oder liefern, die es den Spielern ... ermöglichen, eine grausame oder die Menschenwürde verletzende Gewalttätigkeit gegen Menschen oder menschenähnliche Wesen auszuüben".
Beckstein weiß, worauf es ankommt. Als er geboren wurde, 1943, da gab es noch keine "Killerspiele". Brauchte man auch nicht, da wurde auf deutschem Boden noch in echt gekillt. Aufgewachsen ist der Franke ja auch ganz ohne "Killerspiele". Nutzloser Kram! Die Jugend soll sich mit was Anständigem beschäftigen.
Beckstein: "Dass diese menschenverachtenden Gewaltvideos einen Einfluss auf das Verhalten junger Menschen haben, das ist nicht nur meine Überzeugung, sondern eine weit verbreitete und ich meine auch nachweisbare Tatsache." Genau! Als Law-and-Order-Mann lässt er sich nicht von wehleidigen Psychologen und verweichlichten Jugendbeauftragten erzählen, dass es keinen Zusammenhang zwischen Computer- und echter Gewalt geben soll. Papperlapapp!
Mit der Höchststrafe muss rechnen, "der ein Millionenvermögen macht, weil er solche Spiele produziert". Das sorgt für Klarheit. Denn wer ein Millionenvermögen macht, indem er echte Waffen produziert, wird weiterhin nicht belangt.
Für das gelegentliche Spielen, fährt Beckmann fort, seien Jugendstrafen ausreichend. Wirklich? Müssen am Computer rumballernde Halbstarke nicht die ganze Härte des Gesetzes spüren?
Unklar ist noch, ob Beckstein mit seinem berechtigten Ansinnen durchkommt. Klar ist, dass sein System "Verbiete und Bestrafe" seine Vorteile hat: Viele Bemühungen für Familien werden dann überflüssig, die doch nur viel Geld kosten, zum Beispiel die Entlastung von Eltern durch mehr Kindergärten oder bessere Betreuung von Heranwachsenden.

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4.12.06

Schellnhuber - Ein unverbesserlicher Optimist

Hans Joachim Schellnhuber ist zum Klimaschutzbeauftragten der Bundesregierung benannt worden. Der Physiker, Jahrgang 1950, Gründer und Direktor des Potsdamer Instituts für Klimafolgenforschung, Professor in Oxford und Mitglied der amerikanischen National Academy of Sciences – dieser Schellnhuber ist ein unverbesserlicher Optimist.
„Ich glaube, dass die Menschheit mit 90-prozentiger Wahrscheinlichkeit die nächsten hundert Jahre überleben wird“, schrieb er in der ZEIT online (17. August 2006) auf die Frage „Wie werden wir die nächsten hundert Jahre überleben“. Für alle, die das nicht auf Anhieb verstanden haben, legt Schellnhuber nach: Es bedeute, "dass wir es mit einer Chance von 1:10 nicht schaffen werden“.
Der normale Bundesbürger rechnet ja aus verschiedenen Gründen fest mit seinem baldigen Aussterben. Aber jetzt kommt Schellnhuber daher und hebt die Quote auf 90 Prozent. Ein als Pessimismus verpackter Optimismus – das ist Dialektik.
Der Professor zählt auf, was „uns vernichten“ könnte:
Ein Asteroid könnte auf uns stürzen, eine Supernova unseren Planeten verbrennen.“ Und das alles in den nächsten hundert Jahren! Doch sei das „sehr unwahrscheinlich“. Glück gehabt. Doch wo das All als Katastrophenherd versagt, muss unsereins einspringen: "Schon wahrscheinlicher ist es, dass wir uns selbst auslöschen. Schellnhuber nennt hier als Gefahren zunächst einen Atomkrieg und - nein, nicht etwa den Krieg der Terroristen gegen die westliche Welt, sondern den Krieg gegen den Terrorismus“. Er hätte es auch kurz machen und einfach sagen können: George W. Bush.
„Die realistischste Gefahr für die Menschheit“, fährt Schellnhuber fort, „geht jedoch von der globalen Erwärmung aus. Im schlimmsten Fall verursache und erlebe die Menschheit einen so genannten galoppierenden Treibhauseffekt - „verursacht durch George W. Bush“, fehlt an dieser Stelle. Bei diesem Öko-GAU könnte sich die Temperatur der Erde in 100 Jahren um 10 oder sogar 12 Grad Celsius erhöhen. „Europa würde zur Sahara.
Gallopierender Treibhauseffekt! Eurosahara! Hollywood greift ja gerne große Trends auf, und so freuen wir uns auf „Mad Max IV“, die Fortsetzung der Saga über den Kampf der letzten Erdbewohner um den letzten Tropfen Benzin, diesmal in der Wüste Europas. Vielleicht kann Mel Gibson noch mal ran. Wie stehen die Chancen?
Ich halte diesen schlimmsten Fall zwar für nicht wahrscheinlich, aber für grundsätzlich möglich. Das Risiko liegt vielleicht bei 1:1000.“
Eben war es doch noch 1:10? Tataa! In nur wenigen Absätzen ist die Weltuntergangsquote jäh in sich zusammengefallen. Schellnhuber will zwar noch „schnellstmöglich eine neue Weltgesellschaft erfinden“ (also ohne George W. Bush), aber nach derartigen rhetorischen Volten ist klar: Hier handelt es sich um eine gut verpackte Entwarnung aus Potsdam/Oxford. Danke, Herr Professor!

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Media Markt - Unterwegs im Namen der Umwelt

Um ihre Kunden aufs Kreuz zu legen, lässt sich unsere Wirtschaft, voran der Handel, immer wieder etwas Neues einfallen. Dinge, auf die man so ohne weiteres gar nicht kommt, Dinge wie die Energiekennzeichnung von Elektrogeräten. Die Kennzeichnung ist gesetzlich vorgeschrieben. Aber irgendwie ist es dem Handel gelungen, die Bewertungsmaßstäbe so zu verdrehen, dass praktisch jeder glaubt, er kaufe ein hochsparsames Gerät, während in Wirklichkeit fast immer das Gegenteil der Fall ist.
Nehmen wir die Effizienzklasse "C". Das klingt nach Mittelfeld, nach vernünftigem Preis-Leistungs-Verhältnis. "C" ist aber die schlechteste Kategorie mit dem höchsten Stromverbrauch. Wer eine Waschmaschine oder einen Kühlschrank der Klasse "A" kauft, nimmt automatisch an, dass es besser nicht mehr geht. Entdeckt er dann noch "A+", kann es sich nur um Staubsauger oder Spülmaschinen handeln, die die strengsten Vorgaben nochmals übertreffen. Nichts da: Die höchste Kategorie lautet auf "A++"; Das stolze „A“ ist also nur Mittelklasse.
Nun gibt es zum Glück Menschen, die strengstens darauf achten, dass wenigstens mit der verschobenen Kennzeichnung kein Schindluder getrieben wird, Menschen wie den Hamburger Rechtsanwalt Joachim Rotzlöffel*. Er überzieht im Auftrag der Elektrohandelskette Media Markt bundesweit Konkurrenten mit Unterlassungserklärungen. Der Vorwurf lautet meist auf fehlende Energie-Kennzeichnung. Der Anwalt versieht seine Schreiben mit knapper Fristsetzung „aufgrund Eilbedürftigkeit“ und setzt vergleichsweise hohe Streitwerte von mehreren zehntausend Euro an. Rechtlicher Widerstand kommt da teuer zu stehen. Dass jede einzelne Unterlassungserklärung - wegen des unglaublich hohen Arbeitsaufwands - eintausend Euro Honorar einbringen kann, sollte als eher niedrige Vergütung angesehen werden angesichts dieses Engagements für die saubere Zukunft unseres Planeten.

Das gleiche Beharrungsvermögen zeigt die Münchener Elektrohandelskette auf der anderen Seite. Elektrogeräte werden laut der Deutschen Umwelthilfe e.V. (DUH) in den einschlägigen Media-Märkten besonders dann nicht gekennzeichnet, wenn es sich um Geräte der Effizienzklasse „C“ handelt. Vor dem Landgericht Berlin hat die Umweltorganisation je einmal gegen Media Markt und die "Schwester" Saturn Recht zugesprochen bekommen. Weil die Fachmärkte nur anderen, jedoch niemals sich selbst etwas vorzuwerfen haben, gehen sie in Berufung. Mittlerweile hat die DUH gegen den Media Markt Esslingen wegen fehlender Gerätekennzeichnung eine Einstweilige Verfügung beim Amtsgericht Stuttgart erwirkt.
Dabei hatte das gute Beispiel Media Markt in der Branche doch schon Schule gemacht. Man überzieht sich jetzt gern mit Abmahnungen, Unterlassungserklärungen, Klagen, alles im Sinne des Verbrauchers und des fairen Wettbewerbs.

Fortsetzung folgt, aber der Sieger steht jetzt schon fest: Eine saubere Umwelt - das Hauptanliegen aller Beteiligten, vor allem Media Markt und des Hamburger Abmahner-Königs Rotzlöffel*.
*Name von der Redaktion geändert

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