Berliner Seifenoper

21.6.07

Das antikapitalistische Bollwerk

Der Kapitalismus hat’s nicht leicht in Deutschland. Klar, die Konzerne haben das Sagen, sie sitzen am längeren Hebel. Zehntausende Telekom-Mitarbeiter bekommen das gerade zu spüren, mit Lohnkürzung und Mehrarbeit. Doch immer wieder finden sich Widerstandsnester, subversive Bollwerke des Arbeitnehmerwohls, die dem finstersten Raubtierkapitalismus zumindest die schärfsten Zähne ein bisschen abfeilen.

Das tapfere Bundesarbeitsgericht in Erfurt zählt dazu. Gerade hat es sogenannte Sympathiestreiks für rechtens erklärt. Im Streitfall hatte eine Zeitungsredaktion für höhere Löhne gestreikt; die Druckereibeschäftigten streikten aus Solidarität mit, obwohl es um deren Löhne gar nicht ging.

Das Gericht übertölpelte dabei die unteren Instanzen, die genau ins Gesetz geschaut und festgestellt hatten, dass Streiks nur in eigener Sache erlaubt sind. Aber wer wollte, wenn es ums große Ganze, ums „System“ geht, denn so kleinlich sein? In diesem Geiste hatte dasselbe Erfurter Gericht jüngst auch Streiks gegen Umstrukturierungen für zulässig erklärt.

Die Arbeitgeber sind empört und fordern ein Eingreifen des Gesetzgebers. Das wird nicht geschehen. Denn der Kapitalismus, das weiß doch jeder, ist per se schlecht für alle Menschen, da wird ihm ja auch nicht noch jemand zu Hilfe eilen! Nur steht da was im Grundgesetz von wegen „Freiheit“, „Eigentum“ und so, und da kann man jetzt nicht so einfach ran und schnell was Besseres reinschreiben.

Das ist wirklich zu ärgerlich. Aber zum Glück haben wir ja das Bundesarbeitsgericht.

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20.6.07

Mehrheit von 35 Prozent gegen Moscheebau

Im erhitzten Streit um den Bau einer Großmoschee in Köln überrascht uns folgende Meldung, verbreitet von der Katholischen Nachrichtenagentur (KNA): „Die meisten Kölner lehnen Pläne für Moscheebau ab“. Grundlage ist einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts "Omniquest" im Auftrag des Kölner Stadt-Anzeigers“.
Ergebnis der Umfrage, laut derselben Agentur: 31,4 Prozent der Befragten sind gegen den Neubau. 27 Prozent sind mit der Moschee prinzipiell einverstanden, wenden sich aber gegen die geplante Größe. Für den Bau sprechen sich demnach 35,6 Prozent aus. Der Rest hat keine Meinung.
Das macht summa summarum: 62,6 Prozent sind für beziehungsweise nicht gegen den Moscheebau. Wie die KNA da behaupten kann: „Die meisten Bewohner von Köln lehnen die Pläne für eine große Moschee im Stadtteil Ehrenfeld ab“, bleibt ihr Geheimnis.
Wir erwarten von der Nachrichtenagentur noch folgende Meldungen:
- „Mehrheit der Bürger für weniger Klimaschutz“,
- „Deutsche wollen nur noch gentechnisch veränderte Nahrung auf ihrem Teller“,
- „Bundesbürger für den Bau neuer Kernkraftwerke“,
- „93 Prozent wollen FDP wählen“ und schließlich:
- „Umfrage: Stärkeres militärisches Engagement in Afghanistan und Irak gefordert“.

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11.6.07

Willkommen in der Welt der Großen

Und wieder hat ein hübsches junges Mädchen den Altvorderen gesagt, wo's langgeht. Die 16-jährige Lisa Marie Ullrich aus Mainz war, als eine von neun Jugendlichen aus aller Welt, die deutsche Vertreterin beim „Junior-G-8-Gipfel“, eine Institution, mit der sich die Staats- und Regierungschefs als jugendnah schmücken wollen. Und was hatte Fräulein Ullrich, Internatsschülerin auf Schloss Hansenberg, den Großen der Welt zu sagen? Afrika, Aids, Kyoto-Protokoll.
Sieh an. Themen also, die ohnehin auf der „Agenda“ des Gipfels standen. Einmal vor den Mächtigen, betet auch jede Gymnasiastin nur noch den Stoff herunter, den sie glaubt sagen zu müssen – schlau genug, um erkannt zu haben, was Fernsehen und Zeitungen und Öffentlichkeit hören wollen.

Warum werden eigentlich keine Kinder vorgelassen, die den Spitzenpolitikern in Erinnerung rufen, dass es Probleme nicht nur sonstwo auf der Welt, sondern auch hier gibt? Vielleicht, weil Politiker letztlich doch nicht die erste Adresse sind, wenn es ums Problemlösen geht. Und weil gepiercte und tätowierte Problemkinder nicht so foto- und telegen sind wie Mädchen mit weißer Bluse und Haarreif.

Interessant auch, dass immer andere in der Verantwortung sind. Die adrette Lisa Marie Ullrich sagt nicht: „Ich werde auf Auto und Flugreisen verzichten, und wenn alle das tun, löst sich das Klimaproblem.“ Sie sagt nicht: „Ich werde einen Großteil meines erwarteten Gehalts als spätere Chefärztin an afrikanische Projekte geben.“ Sie sagt: Tut ihr was, damit ich nichts tun muss. Herzlichen Willkommen in der Welt der Großen, Lisa!

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Gedemütigte Taliban

Der Präsident des Evangelischen Kirchentags und frühere SPD-Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Reinhard Höppner, hat zum Dialog mit den Taliban aufgerufen. Man dürfe nicht auf die Macht des Stärkeren setzen: „Haltet ein! Vermeidet Demütigungen. Erniedrigung provoziert Terrorismus. Demütigung führt zu Gewalt“, sagte er zum Abschluss des diesjährigen Kirchentags in Köln.

Ja - wer, wenn nicht die Taliban, hat schwere Demütigungen hinter sich? Erst wurde ihr Auge von zwei jahrhundertealten Buddha-Statuen beleidigt, die sie zu Recht in Schutt und Asche gelegt haben. Dann wurde ihr Auge von zwei jahrzehntealten Bürotürmen beleidigt, die sie von Helfershelfern – Al Qadia – in Schutt und Asche legen ließen.

Jetzt wollen wildfremde Menschen bei ihnen das Prinzip von Freiheit und Demokratie einführen – eine Provokation sondergleichen. Schließlich sollen kleine Mädchen in der Kunst des Lesens und Schreibens unterrichtet werden, jeder und jede soll die Musik seiner und ihrer Wahl hören dürfen – wahrlich eine Demütigung, die durch nichts mehr zu überbieten ist.

Also, Herr Höppner, auf nach Afghanistan! Reden Sie mit den Taliban. Bringen Sie, der Christmensch, der Ungläubige, Ihren Standpunkt näher. Drastische Vergleiche sind zwar immer heikel, dennoch: Das mit dem Aufeinanderzugehen hat ja auch mit Hitler in München 1938 ganz hervorragend geklappt. Frieden in unserer Zeit.

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8.6.07

Auf in den Überwachungsstaat

Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble ist seinem Ziel, Deutschland in einen totalen Überwachungsstaat zu verwandeln, ein gutes Stück nähergekommen. Der Bundesrat billigte in einem Rutsch den Fingerabdruck im Pass, die sechsmonatige Speicherung aller Telefon- und Internet-Verbindungsdaten sowie die erleichterte Abhör-Berechtigung für Zollbehörden.

Das ist alles nur konsequent. Denn nicht nur jeder Soldat – nein, jeder Bürger ist doch letztlich ein potenzieller Mörder, zumindest aber ein potenzieller Verbrecher. Das fängt im Straßenverkehr an. Und so dürfen Polizei und Bußgeldbehörden „in eiligen Fällen die in den Passregistern gespeicherten Fotos bei Straftaten sowie Ordnungswidrigkeiten im Straßenverkehr online abrufen“, wie es heißt.
Die Sache muss zwar noch mal in den Bundestag und dann noch mal in den Bundesrat, aber das ist nur gut – denn einige Regelungen könnten sich im Hin und Her verschärfen. Manche Schäuble-Vorschläge nämlich gehen einigen Bundesländern nicht weit genug. Sie fordern die Speicherung der Telefondaten für ein volles Jahr. Warum nicht gleich lebenslänglich? Nur dann sind wir wirklich sicher.
Schon jetzt haben die Strafverfolgungsbehörden bewiesen, dass sie zu Missbrauch jederzeit zu haben sind, beispielsweise beim Abhören von Journalistengesprächen des Anwalts von Al Masri, der von der CIA entführt worden war. In Zukunft wären solche Aktionen endlich vollkommen legal.
Noch immer aber hat Schäuble, trotz Länder-Unterstützung, seine Traumziel nicht ganz erreicht: dass Behörden auf jedem privaten Computer nach Lust und Laune „undercover“ herumschnüffeln dürfen, und dass die Polizei jederzeit direkt auf den Fingerabdruck zurückgreifen kann. Aber das ist nur noch ein kleiner Schritt, und weitere sollten schnell folgen:
beispielsweise die automatische Aufzeichnung aller Telefongespräche zwecks Rückverfolgung sowie die automatische Speicherung aller E-Mails beim Bundeskriminalamt samt Durchsuchung nach Schlüsselbegriffen. Erst dann hätten wir ja wirklich die gewünschten syrischen oder chinesischen Verhältnisse.

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5.6.07

Otto der Schlaue

Wirtschaft ist wie die Politik: Erst versperrt sie sich hartnäckig jedem gesellschaftlichen Wandel (sofern dieser sie betrifft), dann hopst sie gerade noch auf den fahrenden Zug auf, um nicht abgehängt zu werden und weiter gute Geschäfte machen zu können.
So hat Versandhaus-Unternehmer Michael Otto die „Initiative 2 Grad“ gegründet mit dem durchschaubaren Ziel, in der aktuellen Klima-Inquisition von der Seite der „Bösen“ („die Industrie“) auf die der „Guten“ zu wechseln – auf die Seite der Inquisitoren nämlich, die andere anklagen, damit sie selbst nicht angeklagt werden.
Die "Blockaden in der Klimapolitik" durch die USA müssten "endlich aufgehoben werden", sagt Otto zu SPIEGEL ONLINE. Auch der jüngste Vorstoß von US-Präsident George W. Bush bedeute lediglich ein "Verschieben der notwendigen Klimadebatte".
Schlau, Herr Otto! Gefahrlos auf der Anti-Bush-Welle reiten, das bringt Punktgewinn beim Versandhauskunden. Denn wenn die USA ernst beim „Klimaschutz“ machen würden, bräuchte man als Käufer kein schlechtes Gewissen mehr zu haben, wenn man sich von weither die Espressomaschine anliefern lässt. Und wenn die USA nicht ernst machen, auch nicht - denn dann kann ja ohnehin alles egal sein.
Otto entlarvt Bush als Quasi-Diktator, der im Alleingang gegen den Welt-Willen die Rettung der Erde sabotiert: "Die Zukunft darf nicht in den Händen von Bremsern liegen." Sowohl mit den Demokraten als auch mit Teilen der US-Industrie habe es schon Gespräche über eine, Achtung: „Post-Bush-Klimaschutzpolitik“ gegeben.
Nun ist man hierzulande ja der festen Auffassung, bei den USA handele es sich im Grunde um ein etwas größeres Deutschland, nur mit dem falschen Präsidenten. Da droht nach einem Regierungswechsel im Weißen Haus ein böses Erwachen. Zur Erinnerung: Der Präsident, der das Kyoto-Protokoll nicht unterschrieb, obwohl er noch knapp drei Jahre im Amt war, hieß Bill Clinton und war Demokrat.
Weitere Mitglieder der „Initiative 2 Grad“ sind vor allem Konzerne, die aus der Öko-Schmuddelecke herauswollen, wie BP, EnBW und Vattenfall (Shell ist in einer ähnlichen britischen Kampagne dabei). Außerdem: die Allianz, die
nicht als „Abzocker“ gelten will, wenn wegen der Erderwärmung die Versicherungsprämien steigen; die Bahn, einer der größten Kohlendioxid-Verursacher Deutschlands, die aber auf dem hohen „Klimafreundlichkeits“-Ross sitzt; und die unvermeidliche Telekom, die immer dabei ist, wenn es eine Chance gibt, sich beim Kunden anzubiedern.
Für Unternehmer, Manager wie auch Politiker gilt dieselbe Grundregel: Immer schön im Strom schwimmen. Das ist der gefahrloseste Weg, überall durchzukommen, beim Verbraucher, beim Wähler, durchs Leben. Als Widerständler kann man es zwar zu etwas bringen, aber das Risiko zu scheitern ist einfach zu groß. Lieber mitschwimmen.

1.6.07

Die Hexenjagd hat begonnen

Das ist ein Geschäft, dass sich amerikanische Anwaltskanzleien nicht entgehen lassen können: Konzerne wegen des Klimawandels auf Milliardenentschädigungen zu verklagen.

Den Anfang machten Rechtsanwälte bereits im April 2006 mit dem Sturm „Kathrina“, der ein Jahr zuvor über New Orleans zog („Klimasündern droht Prozesswelle“, SPIEGEL ONLINE). Die Anwälte haben 40 Öl-, Gas-, Energie- und Chemieunternehmen verklagt; Vorwurf: Die Firmen hätten zur globalen Erwärmung beigetragen, die dem Hurrikan erst seine zerstörerische Wucht verliehen und Tausende Menschen um ihr Hab und Gut gebracht habe.
Damit ist es amtlich: Nicht der Weg des Hurrikans direkt über die Stadt, nicht das marode Dammsystem, nicht die unzureichenden Rettungsmaßnahmen waren Schuld an Elend und Tod – es ist der, wie es so schön heißt, „anthropogen verursachte Klimawandel“. Und an den glauben die Menschen (insbesondere in den Industriestaaten mit starker 68er-Prägung) stärker als frühere Generationen an den lieben Gott.
Frühere Hurrikane waren genauso stark? Die Erderwärmung führt eher zu weniger und schwächeren Stürmen? Ach was. Selbstloser amerikanischer Anwaltsgeist wird die Klimasünder schon zur Strecke bringen.
Weitere Klagen sind anhängig (Kalifornien vs. Autoindustrie!) oder in Vorbereitung. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis Bangla Desh oder die Seychellen Billionenforderungen an die westliche Welt stellen.
Russland und China werden aber ausgenommen, weil das so nette, sympathische Staaten sind, die den zerstörerischen Kapitalismus ja nie wirklich von Herzen übernommen haben, weil es sich dort so schlecht demonstrieren und noch schlechter prozessieren lässt, weil dort nicht so viel zu holen ist und weil ihre undurchschaubaren Regierungen etwas Einschüchterndes haben.
Abweichler werden schnell eingefangen. So wird Nasa-Direktor Griffin von Landsleuten als „ignorant, arrogant, völlig ahnungslos“ und „Ideologe der Anti-Klimawandel-Bewegung (!)“ bezeichnet. Er hatte es im Radio gewagt zu sagen, es sei arrogant anzunehmen, dass sich das Klima in Zukunft nicht ändern könne, und er sich nicht sicher sei, ob die Erwärmung überhaupt ein Problem darstelle.
Die Hexenjagd des 21. Jahrhunderts hat begonnen – gegen die finstere Industrie im Allgemeinen, die großen Konzerne im Besonderen und gegen Einzelpersonen, die sich laut über die Feinheiten des Klimawandels nachzudenken trauen, im ganz Speziellen.

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